1952
Die wechselvolle Geschichte
des Mercedes-Benz
300 SL W 194, Fahrstellnummer 00009/52, begann im Frühjahr 1952.
Am
26.5. erhielt das Fahrzeug mit den großen Flügeltüren
seine
TÜV-Zulassung sowie das amtliche Kennzeichen W83-3786, und am
13.6.
stand der Wagen mit Startnummer 20 und einer roten Grillumrandung
verziert
am Start des 24-Stunden-Rennens von Le Mans. Pilotiert von Theo
Helfrich
und Helmut Niedermayr überquerte er einen Tag später als
Zweitplatzierter
die Ziellinie, nur geschlagen vom Schwesterfahrzeug mit der Startnummer
21. Als FG 09 zum nächstenmal öffentlich auftauchte, war er
kaum
wiederzuerkennen: Er hatte Dach und Flügeltüren verloren, um
als "Spyder" mit Startnummer 22 das Sportwagenrennen beim Großen
Preis von Deutschland auf dem Nürburgring zu bestreiten. Diesmal
fuhr
Fritz Rieß das zur besseren optischen Unterscheidung von den
Kollegen
mit roten Kotflügelrauten gekennzeichnete Auto, und wieder
mußte
es sich den anderen 300 SL W 194 geschlagen geben. Hinter Lang (21) und
Kling (24) wurde FG 09 Dritter, gefolgt von Helfrich (23), ein
triumphaler
Vierfachsieg des Mercedes-Benz-Werksteams. Für seinen letzten
Renneinsatz
mußte FG 09 zunächst eine Schiffsreise absolvieren. Im
November
1952 trat der Wagen, immer noch ohne Dach und diesmal mit weißen
Kotflügelrauten sowie Startnummer 6, gesteuert von John Fitch und
Eugen
Geiger, bei der abenteuerlichen Carrera Panamericana an. Auch diesmal
war
ihm das Glück nicht hold, wegen Überfahrens der Startlinie in
falscher Richtung und im Rückwärtsgang wurde Startnummer 6
disqualifiziert.
Den Sieg trugen Karl Kling und Hans Klenk mit FG 08 davon, Hermann Lang
und Erwin Grupp belegten mit FG 05 den zweiten Platz.
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Abb.
1: FG 09 1952 in Le Mans |
Abb.
2: FG 09 vor dem Nürburgring-Rennen |
Abb.
3: Fitch/Geiger bei der Carrera Panamericana |
1953 - 1957
Da Mercedes-Benz die
Renneinsätze
der Sportwagen 1953 nicht nicht fortsetzte, hätte das Leben von FG
09 - wie das einiger Schwesterfahrzeuge - an dieser Stelle bereits
beendet
sein können. Doch das Werk hatte noch Verwendung für den
jugendlichen
Veteranen. 1953 diente FG 09 den Renningenieuren von Mercedes-Benz als
Testwagen. Irgendwann im Lauf dieses Jahres erhielt das Auto den
neuentwickelten
Motor M 198 mit Benzineinspritzung eingepflanzt und absolvierte
Testfahrten
am Großglockner. Das ist schon alles, was über das Fahrzeug
aus den Jahren 1953 und 1954 überliefert ist.
Ende 1954 beschloß der
Vorstand
die Entwicklung einer offenen Version des mittlerweile in Serie
gegangenen
300 SL W 198 Coupés. Mit der Entwicklung wurde die Rennabteilung
unter der Leitung von Uhlenhaut und Nallinger beauftragt, und hier
begann
das zweite Leben von FG 09: er wurde ausgesucht, um als
Entwicklungsfahrzeug
und Prototyp zu dienen. Dabei ist wörtlich zu nehmen, daß
Fahrgestell
00009/52 benutzt wurde, denn viel mehr anderes kam vom 52er Rennwagen
nicht
mehr zum Einsatz.
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Freilich
blieb auch der Rahmen
nicht unangetastet. Die Ingenieure standen vor dem Problem, Platz
für
die Türausschnitte zu schaffen, da der fragile, nur auf Zug und
Druck
beanspruchte Rohrrahmen seitlich sehr weit hochgezogen und durch diesen
Umstand Pate der Flügeltüren war, die aus konstruktiven und
nicht
etwa Design-Gründen entwickelt worden waren. Ein offenes Fahrzeug
mußte jedoch konventionell angeschlagene Türen haben, also
galt
es, den Rohrrahmen entsprechend zu modifizieren und dennoch
verwindungssteif
zu halten. Nach diversen Tests kam man zum Schluß, daß die
Lösung in der Verwendung stärkerer Rohre mit
größerem
Durchmesser bestand. Wieviel dabei vom ursprünglichen Rahmen
übrig
blieb, ist unklar.
Parallel dazu entwickelte
Friedrich Geiger
unter der Leitung des Chefdesigners Karl Wilfert im Frühjahr und
Sommer
1955 die ersten Entwürfe der Karosserie des Roadsters.
Im Herbst dieses Jahres war
die erste
Version des Prototyps fahrbereit und wurde im Oktober dem Vorstand
präsentiert.
Anschließend begannen, nachdem der Wagen im November seine
offizielle
Zulassung erhalten hatte, die ersten Straßentests, deren
Ergebnisse
in weitere Verbesserungen einflossen.
Im Juni 1956 fanden weitere
Straßentests
in den Alpen statt. Von diesem Ausflug sind die ersten Fotos des
Fahrzeugs
überliefert, aufgenommen am Stilfserjoch vom Fotografen Douglas
Duncan,
der selbst einen Flügeltürer fuhr. Die Fotos wurden im
Oktober
1956 unter dem Titel "The Secret SLS" im amerikanischen Magazin
"Collier's"
abgedruckt. Ende des gleichen Monats fand eine offizielle
Pressevorführung
des Prototyps statt, an der auch der US-Sportwagenmeister Paul O'Shea
teilnahm.
O'Shea zeigte sich sehr interessiert am SLS und testete den Wagen auf
dem
Nürburgring, der Solitude und in Hockenheim.
Abb. 4:
Der Roadster-Prototyp 1956 in den Alpen (rechts oben)
Abb. 5:
Der Roadster-Prototyp
1956 auf dem Werksgelände der Daimler-Benz AG (rechts unten)
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Diese Tests beeindruckten
Uhlenhaut und
Nallinger so sehr, daß im November 1956 entschieden wurde, zwei
weitere
Fahrzeuge zu bauen, um damit an den US-Sportwagenmeisterschaftsrennen
1957
(SCCA) teilzunehmen, wobei FG 09 weiterhin als Entwicklungs- und
Testfahrzeug
diente. Am 5. Februar 1957 beschloß der Vorstand, den
Serien-Roadster
"300 SL" statt SLS zu nennen, werksintern heißt er W 198 II. Im
März
weilte FG 09 zu Testzwecken in Italien, unter der Aufsicht von
Rennleiter
Alfred Neubauer heizte Karl Kling den Wagen über die Rennstrecke
von
Monza. Dann trennen sich die Wege von FG 09 und SLS wieder: Der SLS
gewann
Rennen, und FG 09 wurde zum Testobjekt für den Serien-Roadster.
Mitte
März debütierte der Roadster auf dem Genfer Automobilsalon,
seine
endgültige Karosserie unterschied sich letztendlich in fast allen
Details vom SLS und FG 09, und auf das Fahrzeuggewicht nahm man, mit
Rücksicht
auf die Bequemlichkeit der amerikanischen Zielkäuferschaft, wenig
Rücksicht. Die Mercedes-Benz-Renningenieure verspotteten den
Roadster
als "rollendes Boudoir".
Danach wurde es still um den
Prototyp.
Irgendwann in der zweiten Hälfte der 50er, so Scott Grundfor,
wurde
dem Fahrzeug mal testhalber ein Hardtop mit Flügeltüren
verpaßt,
eine Entwicklung, die bekanntlich nicht in die Serie einfloß. Bis
1965 stand der Prototyp dann irgendwo in einer Werkshalle - zum
Glück
wurde er aber nicht verschrottet.
1965 - 1987
Im Juli 1965 wurde FG 09
verkauft. Damit
der Wagen zugelassen werden konnte, mußte seine Herkunft
dokumentiert
werden. Ordentlich, wie es in Deutschland nunmal zugeht, legte die
Daimler-Benz
AG die Provenienz des Autos als Testfahrzeug schriftlich nieder.
Gleichzeitig
erhielt der Wagen, vermutlich zur Erstellung eines ordentlichen
Fahrzeugbriefs,
die neue Fahrgestellnummer 8427198118/1. Parallel zum Verkaufsvertrag
mit
dem neuen Besitzer Jürgen Britsche aus Hamburg wurden die
Dokumente
am 14. Juli 1965 notariell beglaubigt. Nachdem der Wagen
zwischenzeitlich
mal einem Herrn von Windheim gehörte und wohl wieder
zurückgekauft
wurde, veräußerte ihn Britsche am 5. April 1979 in die USA.
Der neue Besitzer, der ihn bis 1987 behielt, hieß Lloyd Ikerd.
Was
die verschiedenen Eigentümer dazu trieb, dieses Auto zu kaufen und
was sie damit machten, ist nicht dokumentiert. Keiner von ihnen wird
wohl
den Ursprung und die Geschichte des Prototyps genauer gekannt haben.
Eins
steht aber fest: Während dieser gesamten Zeit blieb er
dankenswerterweise
von entstellenden Umbauten verschont.
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1987 - 2007
Im August 1987 verkaufte
Lloyd Ikerd das
Fahrzeug an den kalifornischen Mercedes-Spezialisten Scott Grundfor.
Als
der den Wagen genauer unter die Lupe nahm und die diversen
Zubehörteile
inspizierte, wurde ihm klar, daß dieses Auto etwas ganz
besonderes
war. Während er den Wagen völlig zerlegte und restaurierte
und
dabei auf immer mehr erstaunliche Einzelheiten stieß,
recherchierte
der US-Journalist Robert Nitske, auch er ein Mercedes-Spezialist, die
Geschichte
des Prototyps. Und so wurde bald klar, warum kaum ein Bauteil dieses SL
den Serienteilen von Flügeltürer und Roadster glich.
Noch während der
Restaurierungsarbeiten
wurde die ehemalige FG 09 im Jahr 1990 an den Japaner Naohiro Ishikawa
verkauft, der das Auto nach Fertigstellung wieder in die
Öffentlichkeit
brachte. 1991 nahm der Prototyp an der "Monterey Historic" teil,
überstand
das Rennen ohne jedes Problem auf einem Platz im Mittelfeld, um bereits
einen Tag später, am 18. August 1991, auf dem "Pebble Beach
Concours"
ausgestellt zu werden.
Abb 6:
Der restaurierte
Roadster-Prototyp Anfang der 90er Jahre
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1992 wurde der Wagen in
einer Publikation
des Mercedes-Benz-Museums vorgestellt, unter anderem garniert mit den
Fotos
von Douglas Duncan aus dem Jahr 1956, und 1994 erneut verkauft, diesmal
an den Amerikaner Bob Meyer. 1997 nahm der Prototyp erneut an der
Pebble-Beach-Ausstellung
teil und gewann in seiner Klasse.
Vor einiger Zeit (das Datum
ist mir nicht
bekannt) wurde das Auto vom deutschen Mercedes- und 300-SL-Spezialisten
HK Engineering erworben. Es erfolgte ein längerer Aufenthalt bei
Mercedes,
um die Echtheit des Wagens zu bestätigen. Im März 2007 wurde
die ehemalige FG 09 zur Feier des 50jährigen
Roadster-Jubiläums
auf der Retro Classics in Stuttgart dem Publikum präsentiert.
Aktuell (Stand 2007)
befindet sich der Prototyp in den Händen eines italienischen
SL-Sammlers,
der ihn anscheinend auch regelmäßig fährt. |
AUF DEN
ZWEITEN BLICK
Wie schon erwähnt,
sieht der Prototyp
nur auf den ersten Blick wie der Serien-Roadster aus. Schaut man
genauer
hin, stellt man fest, daß sich der ehemalige W 194 in nahezu
jedem
Detail vom Serienmodell unterscheidet. Äußerlich betrachtet
fällt der dominante, vom Flügeltürer entlehnte Grill auf
sowie die unterhalb des Grills vorstehende Wagenfront, die dem Auto von
vorne einen aggressiven Eindruck verleiht. Die Lanzetten über den
Radhäusern sind nicht Teil der Karosserie, sondern
nachträglich
mit einem zwischenliegenden Kederband angeschraubt. Das Lenkrad mit
Holzkranz
und einem Hupring mit deutlich kleinerem Durchmesser findet man in
keinem
anderen 300 SL. Die lederbezogenen Sitze sehen aus wie eine Kreuzung
zwischen
denen des Flügeltürers und des Roadsters. Vorne ist der
Prototyp
mit Dunlop-Scheibenbremsen ausgestattet, die für den
Serienroadster
zunächst garnicht, dann nur gegen Aufpreis und erst ab 1960 in
Serie
eingebaut wurden. Der lange Schaltstock stammt noch vom Renn-SL, und
auch
viele Innereien wie z.B. Motorgehäuse-Teile aus Magnesium
verraten,
daß dieses Fahrzeug auch als Versuchsträger für
rennmäßige
Einsätze wie denen der beiden SLS von 1957 diente. Auch die
leichtgewichtige
Federung soll noch die sein, die bereits 1952 für die Carerra
Panamericana
eingebaut wurde.
Weitere Auffälligkeiten
sind die
Tankfüllungsöffnung, die der Prototyp rechts hinten
trägt,
während sie beim Serien-Roadster links ist, sowie die
Scheibenwischer,
die auf der "falschen" Seite der Frontscheibe liegen.
Die zahllosen Modifikationen,
die das
Versuchsfahrzeug durchmachte, sieht man z.B. an den zugenieteten
Öffnungen
für die Stoßstangenhalterungen. Auf Fotos von 1956
trägt
der Prototyp Stoßstangen. Diese dürften dazu gedient haben,
dem Serien-Roadster ähnlicher zu sehen, den es zu dieser Zeit
anzukündigen
galt. Endete der Auspuff des Versuchsfahrzeugs unter der Ägide von
Scott Grundfor noch knapp unterhalb und hinter den Kiemen auf der
rechten
Seite, ist er heute wieder da, wo er auf den Bildern von 1956 zu sehen
ist, nämlich standardmäßig hinten.
Wie wenig bekannt die
wechselvolle Geschichte
des Roadster-Prototyp selbst bei Mercedes war, zeigt die kleine
Anekdote,
die sich bei der Ausstellung des Wagen 1997 in Pebble Beach zutrug und
von Winston Goodfellow wie folgt erzählt wird:
"During this
appearance, an episode
occurred that shows Duncan's Secret SLS title was still applicable. A
senior
Mercedes executive walked around the fabulous roadster, with a
quizzical
look on his face. He finally paused, then shook his head and muttered:
'We never built that car!'"
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Abb. 7 und
8: Der Roadster-Prototyp auf der Retro Classics in Stuttgart,
März 2007
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